SparkassenZeitung 09/21 VERTRIEB 21 INTERVIEW Das Amazon für den Salzlandkreis WIE HANS-MICHAEL STRUBE, VORSTANDSVORSITZENDER DER SALZLANDSPARKASSE, MIT EINER KARTE DIE REGION STÄRKEN WILL. – Herr Strube, Sie wollen gemeinsam mit dem Landrat ein Amazon für den Landkreis aufbauen. Wie kann das funktionieren? Hans-Michael Strube: Wir wollen es für die Menschen hier attraktiv machen, ihr Geld im Salzlandkreis auszugeben. Denn wo Geld ausgegeben wird, entsteht Wirtschaft – das kann bei Amazon sein oder bei uns. Der Landrat fand diese Idee gut, und so haben wir die Salzlandkarte entwickelt. Es geht uns nicht darum, dass der Kunde noch eine weitere Karte im Portemonnaie hat. Die Karte musste so attraktiv sein, dass die Leute sagen: „Die will ich haben!“ Wie haben Sie die Karte so getrimmt, dass sie diesen Anspruch erfüllt? Strube: Am Anfang steht eine Änderung im Steuerrecht. Unternehmen können ihren Mitarbeitern eine steuerfreie Sachvergünstigung von 44 Euro im Monat bezahlen. Dafür gab es in der Vergangenheit oft einen Gutschein für einen großen Versandhändler. Seit 1. Januar 2021 geht das nicht mehr – der Staat hat gesagt: Die Gutscheine müssen ausschließlich zum Bezug von Waren oder Dienstleistungen des jeweiligen Gut- scheinausstellers berechtigen (beispielsweise einer bestimmten Tankstelle, einem bestimmten Drogerie- markt usw.) oder die Gutscheine müssen ausschließlich bei einem be- grenzten Kreis von Akzeptanzstellen eingelöst werden können. Dabei werden explizit City-Cards genannt. Amazon-Gutscheine erfüllen diese Anforderungen nicht mehr. Das Geld muss also regional oder bei Unterneh- mensketten ausgegeben werden, die Leistung muss beispielsweise als Gutschein für einen Laden in der Region gegeben werden – oder auf einer regionalen Karte. Also war uns klar: So eine Karte machen wir! Auf diese Karte kann jeder Unternehmer im Salzlandkreis für seine Mitarbeiter jeden Monat die 44 Euro steuer- und SV-Abga- ben-frei laden. Ab 2022 wird dieser Betrag vom Gesetzge- ber sogar auf 50 Euro erhöht. Natürlich haben wir uns per Steuer- und Rechtsgutachten bestätigen lassen, dass wir alle rechtlichen Anforderungen (zum Beispiel ZAG) als auch steuerlichen Anforderungen mit der Karte erfüllen. Wie ist der Start gelaufen? Wir haben in den ersten sechs Wochen 100 000 Euro ein- gesammelt – trotz Corona. Wir haben den Mitarbeitern die Salzlandkarte gegeben, das kostet das Unternehmen nur kleines Geld. Inzwischen akzeptieren fast 100 Geschäfte diese Karte. Das reicht vom Restaurant über das Fitness- studio bis zu Edeka. Sie können also für 44 Euro aus Ihrem Bruttogehalt essen gehen oder einkaufen; und das ist kein Steuerbetrug. Der Staat will das sogar! Sie haben weitere „Ausbaustufen“ für die Karte geplant. Wie sehen die aus? Die Karte soll künftig auch für den Eintritt für Museen, den Tierpark und das Schwimmbad genutzt werden können. Und für Busfahrten – es gibt in unserem Landkreis allein 6500 Schülerkarten, die bisher mit Foto und Schreibmaschine hergestellt werden. Das kann man digitalisieren. Wir wollen dieses Geld kommen. Den Händlern haben wir gesagt, wie viel Geld im Topf ist, und damit war deren Interesse sofort geweckt. Zusätzlich gewinnt das dann eine Eigendynamik: Wenn das Geld auf der Karte ist, dann fragt der Mitarbeiter in jedem Geschäft, ob es die Karte akzeptiert. Und wie haben Sie die Unternehmer angesprochen? Unser Landrat und ich haben die Karte bei den Wirtschafts- vereinigungen im Landkreis vorgestellt. Von jeweils 20 bis 25 Teilnehmern haben jeweils 90 Prozent sofort zugesagt, dass sie mitmachen wollen – die sehen einfach die Chance. Nebenbei hatte diese Begeisterung für uns den Charme, dass mehrere Firmen deswegen von unseren Wettbewer- bern zur Sparkasse gewechselt sind. Wie und mit wem haben Sie die Salzlandkarte „gebaut“? Die Karte kommt von einem Unternehmen aus Ermsleben, also aus unserer Region. Dieses Unternehmen stattet Fußballstadien mit Bezahlkarten aus. Im Grunde wird der Salzlandkreis wie ein großes Fußballstadion behandelt. Mit dieser Firma haben wir die Smart.Region GmbH gegründet. Aktuell sind wir in Gesprächen mit einem Start-up, das beim S-Hub gewonnen hat, um die Kompetenzen ihrer App mit unseren Kompetenzen in der Regionalisierung der Zahlungsströme zu bündeln. Das S-Hub der Star-Finanz hat uns dabei zusammengebracht. Außerdem haben wir uns für ein Pilotprojekt der S-Payment beworben, bei dem Händler „üben“ können, das Smartphone statt eines EC-Ter- minals zum Bezahlen zu benutzen. Damit wollen wir künftig regionales und weltweites Bezahlen auf einem Endgerät in der Finanzgruppe vereinen. Wenn die Smartphones mit der App unserer Salzlandkarte und mit der App von S-Payment ausgestattet sind, wird das eine runde Sache. Und natürlich ist das Aufladen auf die Salzlandkarte auch über Paydirekt ebenso möglich wie über unsere Geschäftsstellen. Sie sehen, wir integrieren uns in den Zahlungsverkehr der Sparkassen-Finanzgruppe. Umgekehrt bieten Sie Ihre Karte auch anderen Sparkassen an. Wir können unser System eins zu eins an jede Sparkasse in Deutschland fertig verkaufen, jedes Haus kann das mit seinem Landrat für den jeweiligen Landkreis machen. Verträge, Reklame, Marketing, Abwicklung – das ist alles entwickelt. Wir bieten das in einem Franchise-System an, der Preis richtet sich nach der Einwohnerzahl des Landkrei- ses. Die Sparkasse muss nur sagen, dass sie es will. Haben Sie denn schon Resonanz von anderen Häusern? Viele Sparkassen reagieren zurückhaltend, aber die Land- räte sind begeistert – zuletzt haben wir positive Rückmel- dungen aus Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Branden- burg bekommen. Wir stehen mit etwa zehn Landkreisen, die sich für die Karte interessieren, in engerem Kontakt. Unser Landrat macht seinen Kollegen deutlich, was für eine Riesenchance die Karte ihnen bietet, und wir als Sparkasse können nur sagen: „Mit der Karte machen wir in unserem Geschäftsgebiet richtig Punkte.“ Will es den Menschen schmackhafter machen, ihr Geld im Land- kreis auszuge- ben: Hans-Mi- chael Strube. das Busfahren einfacher machen – mit einer intelligenten Busfahrkarte, die beispielsweise nach der dritten Einzelfahrt erkennt, dass Sie mit einer Wochenkarte günstiger fahren würden und am Ende die Wochenkarte abrechnet. Das ist einiges. Aber ein regionales Amazon ist es nicht. Wir wollen die Salzlandkarte ausbauen zu einem Marktplatz 4.0. Das ist unser Zukunftsprojekt. Wenn Sie fragen, wo es Schuhe gibt, nennt die App Ihnen die Schuhläden im Salz- landkreis. Wenn Sie sich für eine Waschmaschine interes- sieren, werden Ihnen ebenfalls die Händler aus der Region angezeigt. Bei denen ist die Waschmaschine vielleicht 20 Euro teurer als beim Online-Kaufhaus. Aber dafür wird sie angeliefert, aufgestellt und Ihre alte Maschine wird mitge- nommen. Dann sind wir bei Regionalisierung! Bis wann wollen Sie diesen Marktplatz 4.0 aufbauen? Da geht es uns nicht um „möglichst schnell“, sondern um „möglichst gut“. Erst müssen wir genügend Händler im Boot haben – ich denke an etwa 500 Geschäfte. Sonst be- kommt der Kunde zu wenige Treffer, wenn er nach „Modell- eisenbahn“ oder „Parfüm“ sucht. Wenn Corona vorüber ist, nehmen wir Fahrt auf. Die Einführung neuer Bezahlsysteme leidet oft am „Henne-Ei-Problem“: Die Kunden kommen erst, wenn es genügend Händler gibt, und die Händler warten erst auf eine ordentliche Kundenzahl, bevor sie einsteigen. Wie haben Sie dieses Problem gelöst? Mit den 44 Euro haben wir den richtigen Hebel: Die Unternehmen haben das Geld auf die Karte geladen, also den Topf gefüllt, und die Mitarbeiter wollen natürlich an – „Wir sichern damit die Böden für die Regi- on“, sagt Strube und unterstreicht: „Mit Zu- stimmung des Finanzministeriums und der Sparkassenaufsicht.“ Bei den regenerativen Energien liegt der Fall ähnlich wie bei den Böden: 280 Windräder drehen sich im Salzlandkreis, zudem produzieren mehr als 100 nicht private Fotovoltaikanlagen Strom – aber von den Erträgen bleibt fast nichts in der Region. Finanziert und geplant werden die Anlagen meist von Fonds aus west- deutschen Finanzzentren. Strube: „Al- les, was die Region bislang davon hat, ist ein Windrad, das sich tagsüber dreht und nachts blinkt. Das wollen wir ändern.“ Zwar bekommen die Landwirte eine Pacht, aber die Gewerbesteuer und die Erträge s i n e d b i l o M / k c o t s r e t t u h S : n o i t a r t s u l l I ; e s s a k r a p s d n a l z l a S : s o t o F fließen aus der Region ab. „Also haben wir gesagt: Auf diesem Feld müssen wir uns als Sparkasse betätigen.“ Bei einem Finanzie- rungsvolumen von fünf bis sechs Millio- nen Euro pro Stück stehen die knapp 300 Windräder für rund 1,5 Milliarden Euro. „Wir als Sparkasse haben 2,8 Milliarden Euro Sparvermögen von unseren Kunden – davon würden wir gerne auch etwas in Windrädern anlegen, denn das gehört zur Region“, sagt Strube. „Wir wollen bei der Entwicklung von Fotovoltaikanlagen und Windparks mit dabei sein, wir erobern diesen Markt gerade.“ Und die Sparkas- se möchte die Bürger beteiligen – „nicht in dem Sinne, dass wir einen ‚Windbrief‘ machen und der Bürger dafür einen Zins bekommt. Sondern: Die Bürger betreiben das Windrad, und die Sparkasse finan- ziert es.“ Bislang machten das Geschäft mit dem grünen Strom die großen Ener- giekonzerne. Das Geld in der Region halten Während die Regionalisierung von Acker- flächen und Windenergie nicht überall ein so brisantes Thema ist wie im Salzland- kreis, treibt der dritte Punkt wahrschein- lich die ganze Republik um: die Regiona- lisierung der Zahlungsströme. „Bislang kaufen die Menschen unheimlich viel bei großen Konzernen wie Amazon ein, von denen die Region ebenfalls nichts hat“, so Sparkassenchef Strube. „Deswegen haben wir gesagt: Wir gründen eine Salzlandkar- te, eine Art Amazon für den Salzlandkreis“ (siehe obenstehendes Interview). Landrat Bauer setzt große Hoffnungen in die Salz- landkarte. Damit bleibe das Geld in der Re- gion. „Das stärkt nicht nur die Attraktivität des Landkreises, es bringt den Unterneh- men auch Wertschätzung entgegen.“ Mit der Karte und dem Marktplatz 4.0 könnten auch solche Geschäfte im ländli- chen Bereich eine Chance bekommen, die sonst zu wenige Kunden erreichten. „Wir eröffnen den Unternehmen ein größeres Kundenpotenzial. So kann auch in einem Dorf mit 500 Einwohnern ein Geschäft auf- machen, das einen größeren Kundenkreis braucht“, sagt Bauer. Und ergänzt: „Wir stellen mit der Salzlandkarte die Attrakti- vität her, die bisher nur Großstädte bieten.“ –