Treffpunkt Herbst 2021 17 „Das verpflichtende Du in Unternehmen hat eher Symbolcharakter“ Uwe Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Universität Osnabrück TP: Wie wirkt sich Duzen mit Kollegen oder Chefs auf die Streitkultur in Firmen aus? Kanning: Es gibt keine Studie dazu. Ich kann mir aber vorstellen, dass es heißer zur Sache gehen kann. Das Sie signalisiert, dass man sich in einem formellen Rahmen befin- det. Wenn man sich schon länger duzt, kann es dazu führen, dass man eine informelle Streitkultur übernimmt. Letztlich hängt es aber davon ab, ob es ein ehrliches Du ist. TP: Darf ich eigentlich einen Kollegen vor einem Kunden weiterhin duzen? Kanning: Ich würde das machen, wenn ich auch sonst den Kollegen duze. Man kennt es aus dem Einzelhandel, da merkt man ja auch, dass die Verkäufer sich sonst nicht per Sie anreden. Das ist dann wie ein Schauspiel, über das man schmunzeln muss. TP: Sie haben erwähnt, dass viele Firmen das Du verpflichtend vorschreiben. Macht das wirklich Hierarchien flacher? Kanning: Es sieht auf den ersten Blick natür- lich so aus, als würde es familiärer zugehen. Aber eine Veränderung der Machtdistanz durch ein generelles Du sollte man nicht erwarten, weil sich die Rollen und die Persönlichkeit der Menschen nicht ändern. Britische Unternehmen werden ja auch nicht weniger hierarchisch geführt als deutsche, nur weil es das formale Sie nicht gibt. TP: Was bringt dann dieses generelle Du? Kanning: Das verpflichtende Du in Firmen hat eher Symbolcharakter. Es ist eine Zeitgeisterscheinung; so wie vor einigen Jahren die offene Tür des Chefs oder der Verzicht des Vorstands auf Krawatten. Das hat viel mit Image und Marketing zu tun. TP: Wie stehen denn die Mitarbeiter dazu? Kanning: Eine unserer Studien hat erge- ben, dass 74 Prozent der Mitarbeiter keine vorgeschriebene Anrede möchten. Viele werten es wohl als Übergriff. Denn was das kollegiale Miteinander fördern soll, ist im Grunde autoritär. Für Mitarbeiter, die nicht mitmachen wollen, wird es schwer in dem Unternehmen, die müssen schon ein sehr dickes Fell haben. Ich würde erwarten, dass die allermeisten dann einfach mitspielen und im Kreis von Freunden und Familien darüber meckern. TP: Also sollten Firmen es lieber lassen? Kanning: Wenn man in einem Start-up arbeitet, das von einem Freundeskreis gegründet wird, dann ist es relativ einfach, eine generelle Duz-Kultur zu haben. Wobei dies auch zur Disposition steht, wenn die Firma wächst und hierarchischer wird. Ein ganz anderer Fall ist es wiederum, wenn eine etablierte Firma, in der man bisher selbst entscheiden konnte, wie man sich anspricht, das generelle Du einführen will. / Uwe Kanning studierte Psychologie, Päda- gogik und Soziologie in Müns- ter und Canterbury. 1997 wurde er promoviert, zehn Jahre später habilitierte er sich im Fach Psychologie. Seit 2009 ist der heute 55-Jährige an der Hochschule Osnabrück Professor für Wirtschaftspsy- chologie. 2016 wurde er vom Studentenportal „Unicum“ zum Professor des Jahres gewählt. Das „Personalmaga- zin“ zählte Kanning 2015 zu den 40 führenden Köpfen des Personalwesens. TP: Wie sollte die Firma vorgehen? Kanning: Sie sollte vorher die Mitarbeiter anonym befragen. Wenn 80 Prozent für das generelle Du sind, dann hat die Firma eine belastbare Grundlage. Man sollte es nur dann einführen, wenn eine überwältigende Mehrheit dafür ist. Ich erwarte aber nicht, dass solch eine Mehrheit zustande kommt. TP: Nach dem Motto „Das Du muss man sich verdienen“? Kanning (lacht): Das klingt nach Leistung, aber ein bisschen was ist dran. Vielleicht nicht verdienen, aber wachsen. Man muss erst einmal Vertrauen aufbauen. Schließlich gibt es ja in vielen Unternehmen auch oft Neid oder Konkurrenz bis hin zum Mobbing. Die ganze Vielfalt des Lebens spielt sich im Kollegenkreis ab. TP: Oft wird heute auch in Stellenanzeigen geduzt? Ist das ein Trend? Kanning: Ja. Die Firmen machen es, um ein besseres Image und mehr Bewerbungen zu bekommen. Unsere Studien haben aber ergeben, dass die Mehrheit der Bewerber in den Anzeigen und im Einstellungsinterview gesiezt werden möchte. Das gilt für Azubis wie für 60-Jährige. Der Bewerbungsprozess ist für sie eine Art Prüfungssituation, da hält man sinnvollerweise Distanz. TP: Kann ich vom Ton der Stellenanzeige auf das Binnenklima der Firma schließen? Kanning: Nein. Personalmarketing ist letzt- lich Werbung. Sie stellt die Realität verzerrt dar. Übrigens, in der erwähnten Studie zum Duzen in Stellenanzeigen haben wir die Teilnehmer auch gefragt, wie sie das jewei- lige Unternehmen wahrnehmen. Firmen, die die Probanden duzten, wurden zwar als kol- legialer wahrgenommen, aber auch als weni- ger leistungsorientiert und anspruchsvoll. Es ist also ein zweischneidiges Schwert.